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Chronische Schmerzen: Warum Ihr Gehirn falsche Signale aussendet


Schmerz entsteht da, wo wir uns verletzen. Das mag in den allermeisten Fällen bei akuten Schmerzen zutreffen. Wenn Schmerzen aber chronisch werden, stimmt das so nicht mehr. Denn in aller Regel ist eine Verletzung dann verheilt, eine Wunde geschlossen, ein Gewebsschaden behoben. Aber der Schmerz bleibt. Warum?

Schmerzen als Warnzeichen

Generell wird Schmerz als Warnzeichen verstanden. Wenn wir uns verletzt haben, eine Entzündung den Körper plagt oder eine Belastung zu hoch ist, dann meldet sich der Körper. Er will dann klar machen: Hier stimmt etwas nicht. In aller Regel passiert das dann, weil das belastete Gewebe die Grenzen seiner Funktionsfähigkeit erreicht hat. Es drohen schlimmere Konsequenzen, wenn die Ursache für die Schmerzen nicht behoben wird.

Der Schmerz bleibt solange das Gewebe nicht wieder funktionsfähig ist. Auch das dient generell als Warnung: Vollbelastung ist noch nicht möglich. Irgendwann aber erholt sich das Gewebe. Wunden verheilen. Entzündungen klingen ab. Zumindest in den allermeisten Fällen. Wenn dennoch Schmerzen zurückbleiben, kann das verschiedene Ursachen haben. Nicht immer bedeutet es aber, dass das Gewebe immer noch geschädigt ist.

Das Schmerzausmaß sagt nichts aus über die Gewebeschädigung

Zunächst fängt der Denkfehler schon bei akutem Schmerz an. Wir denken, wenn der Schmerz besonders stark ist, dass damit automatisch eine starke Gewebeschädigung vorliegt. Irgendwas muss den immensen Schmerz ja verursachen. Am naheliegendsten scheint es zu sein, dass das umliegende Gewebe massiv verwundet wurde.

Allerdings zeigt die Erfahrung, dass dem gar nicht so ist. Denken wir z. B. an einen angeschlagenen Zeh: Der Schmerz ist im ersten Augenblick sehr stark, manchmal so sehr, dass Gehen oder Stehen nicht mehr möglich ist. Dennoch würde hier niemand von einer starken Gewebeverletzung ausgehen. Ähnlich verhält es sich mit Zahnschmerzen oder Aphthen im Mundbereich: Die Schmerzen sind immens, die angenommene Gewebeschädigung aber erstmal sehr gering bzw. eingeschränkt.

Erklärt werden kann dies dadurch, dass bestimmte Körperregionen im Gehirn verschieden stark ausgeprägt sind. Denken Sie an Ihre Hände: Sie benötigen sie jeden Tag, um feinmotorische Bewegungen ausführen zu können und auch kleinste Strukturen (z. B. Stecknadeln, Holzsplitter) zu ertasten. Dementsprechend gibt es in Ihrem Gehirn eine höhere Sensordichte für Ihre Hände als z. B. für Ihre Fußknöchel.

Der Schmerz entsteht im Gehirn

Was dieses Beispiel zeigen soll, ist wo der Schmerz tatsächlich entsteht: im Gehirn. Sofern wir akute Schmerzen haben, gehen wir davon aus, dass der Ort der Schmerzentstehung auch dort ist, wo wir uns verletzt haben. Aber das ist gar nicht der Fall. Erst wenn das Gehirn die Information bekommen hat, dass am entsprechenden Körperteil eine Unregelmäßigkeit vorliegt, wird entschieden, ob das Gehirn Schmerz als Reaktion aussendet oder nicht.

Schmerzentstehung im Gehirn bei akuten Schmerzen
 

Was für den akuten Schmerz gilt, gilt aber auch für den chronischen Schmerz: Auch dieser Schmerz entsteht nicht dort, wo die Verletzung vermeintlich liegt. Sondern tatsächlich ebenfalls im Gehirn. Dabei spielen verschiedene Mechanismen eine Rolle:

  • Nervenbahnen können empfindlich werden, sodass selbst die leichteste Art von Berührung als Schmerz verstanden wird.
  • Das Gehirn kann mit Reizen, die es aus dem ehemaligen Verletzungsgebiet erhält, nichts anfangen und reagiert mit Schmerzimpulsen (ähnlich zu Phantomschmerzen).
  • Bei langen Verletzungen entsteht eine Art Schmerzgedächtnis: Das Gehirn erinnert sich daran, dass bei bestimmten Bewegungen Schmerz ausgelöst wurde und behält diese Reaktion bei, weil es mittlerweile ein Automatismus geworden ist.
  • Der Bereich des Gehirns, der für die entsprechende Körperpartie zuständig ist, wird größer. Damit wird die Sensordichte für diese Körperpartie größer als zuvor; auch eine Zunahme der Sensordichte in benachbarte Körperpartien ist denkbar.
  • Sobald man schmerzbedingt auf Dinge verzichtet, die einem Spaß machen, nehmen Freude, Aktivitäten und Fitness ab, Stress und Frustration nehmen zu. Auch diese können sich auf die empfundene Schmerzstärke auswirken.

Ihr Gehirn ist irritiert - und reagiert mit Schmerzen

Letztlich ist chronischer Schmerz zum großen Teil darauf zurückzuführen, dass das Gehirn ein Lernorgan ist. Es lernt aus Erfahrungen. Wenn Verletzungen langwierig waren und nur schwer verheilt sind, wird das Gehirn auch dann noch Schmerzen spüren, wenn das Gewebe an sich wieder gesund ist. Außerdem versucht Ihr Gehirn Sie vor weiteren schlechten Erfahrungen zu schützen. Es sendet prophylaktisch Schmerzen aus, um Sie vor weiteren Verletzungen zu bewahren.

 

 

 

 

 

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